Die MUT Academy: Engagierte Menschen machen Jugendlichen Mut

Den Mutigen gehört vielleicht nicht die Welt, aber zumindest sind ihnen ein Schulabschluss und ein Ausbildungsplatz sicher. Denn Mut braucht es, um an sich zu glauben und nicht aufzugeben. Vor allem für Jugendliche, die nicht auf ein starkes Netzwerk an Unterstützung zugreifen können, ist Selbstvertrauen keine Selbstverständlichkeit. Die meisten fühlen sich perspektivlos und alleingelassen. In Deutschland bestimmt die Herkunft noch immer maßgeblich den Bildungserfolg. Kein Wunder also, dass hierzulande rund 50.000 Schüler und Schülerinnen jährlich keinen Schulabschluss schaffen und die Jugendarbeitslosenquote bei rund vier Prozent liegt. Die MUT Academy aus Hamburg möchte das ändern – sie will Jugendlichen Mut machen, ihre Stärken zu erkennen und an den eigenen Erfolg zu glauben. Wir sprachen mit Natalie Rappert, einer der Gründerinnen der Hamburger Initiative.

Natalie Rappert über die MUT Academy und ihre Mission

Liebe Frau Rappert, was bedeutet Mut für Sie?

Mut bedeutet für mich, eigene Ängste anzugehen und näher zu betrachten. Das sind natürlich ganz individuelle Ängste und Sorgen. Mich kostet es zum Beispiel Mut, eigene Zukunftsängste ernst zu nehmen und im Hier und Jetzt anzugehen.

Sie sind Teil der MUT Academy – was verbirgt sich dahinter?

Die MUT Academy hat sich zur Aufgabe gemacht, Schülerinnen und Schülern in Form von Trainingscamps Mut zu machen, um den Übergang von der Schule in das Berufsleben zu bewältigen. Vor allem in den Stadtteilschulen (Anmerkung der Red.: In Hamburg ersetzte die Stadtteilschule seit 2010 die Hauptschulen, Realschulen und Gesamtschulen) ist es für viele junge Menschen ohne oder mit dem ersten Allgemeinen Abschluss enorm schwierig, direkt im Anschluss einen Ausbildungsplatz zu finden. Ihnen wollen wir eine Perspektive geben und die Unterstützung, die sie aus ihrem näheren Umfeld oft nicht bekommen können. 

Die MUT Academy besteht seit 2018 – wie kam es zu der Idee? 

Meine Kollegen Freda von der Decken, Donya Golafshan, Philipp Arlt und ich sind nach unserem Studium 2014 über „Teach First“ Deutschland als Lehrkräfte auf Zeit nach Hamburg gekommen. Die Bildungsinitiative hat es sich zur Aufgabe gemacht, Jugendliche mit benachteiligten Bedingungen beim Abschluss und Übergang zu unterstützen. Wir wurden zwar auf den zweijährigen Schuleinsatz vorbereitet und im Rahmen des Leadership-Programms begleitet und fortgebildet, kamen aber aus ganz anderen Richtungen. Philipp ist Wirtschaftsingenieur, Freda Politologin, Donya Soziologin und ich Diplompsychologin.

Als wir mit dem Unterrichten anfingen, trafen wir auf Jugendliche, die sich selbst für chancenlos hielten, etwas aus ihrem Leben zu machen und ihre vielen eigenen Stärken leider nicht sehen konnten. Sie definierten sich hauptsächlich über schlechte Schulnoten. Wir waren geschockt über so viel Mutlosigkeit und wollten unbedingt etwas verändern. Gemeinsam entwickelten wir das Konzept für ein Schülercamp, das abschlussgefährdete Jugendliche auf die mündliche Prüfung des „Ersten Allgemeinbildenden Schulabschlusses“ („ESA“, ehemals Hauptschulabschluss) in Mathe, Deutsch oder Englisch intensiv vorbereiten sollte. 

Wie ging es dann weiter?

Als wir merkten, wie viel es den Jugendlichen gegeben hat, aus ihrem Schulalltag herauszukommen und in einer ruhigen, entspannten Atmosphäre intensiv lernen zu können, sich eigener Fähigkeiten jenseits der Schulnoten bewusst zu werden und es sogar bis zum Abschluss zu schaffen, haben wir beschlossen: Das Konzept muss Schule machen. Wir organisierten weitere MUT-Camps. Allerdings erkannten wir im Laufe dessen, dass der Abschluss allein nicht reicht für einen nahtlosen Übergang ins Berufsleben. Und so gründeten wir 2018 die MUT Academy mit dem Ziel, junge Menschen dabei zu unterstützen, nach der Schule einen Praktikums- oder Ausbildungsplatz zu finden. Der Fokus änderte sich somit. 

Ein MUTivator hilft zwei jungen Schülern beim Lernen am Laptop.
Die MUT Academy unterstützt beim Lernen für den Abschluss sowie den Einstieg in das Ausbildungs- und Berufsleben.

Vor Corona, im Schuljahr 2018/19, schafften 82 Prozent der Schüler und Schülerinnen ihren Abschluss. Und von den Jugendlichen, die im Sommer 2019 in eine Ausbildung gestartet sind, haben 90 Prozent die Probezeit bestanden. Die Quote für dieses Jahr steht noch aus, da einige noch in den Endzügen zum 01.08.2022 einen Ausbildungsplatz finden. Corona erschwert die Wahl eines Berufes natürlich, da gerade für unsere Zielgruppe viele Praktika ausfielen und diese wichtig sind, um einen Arbeitsalltag kennenzulernen. 

Reicht Lernen allein nicht aus – wozu braucht es MUT?

Viele Schüler und Schülerinnen, die zu uns kommen, sind zu Beginn orientierungslos und haben große Ängste vor der Zukunft. Sie glauben teils nicht daran, je einen passenden Beruf zu finden. Hier braucht es zum einen Mut, an sich zu glauben, und zum anderen ganz konkret Mut, sich der eigenen Zukunft zu stellen. So ist auch der Name der „MUT Academy“ entstanden. Und in den Camps muss jeder Schüler und jede Schülerin am Ende eine sogenannte MUT-Probe bestehen – zum Beispiel in Form eines simulierten Vorstellungsgespräches vor einer Jury. Das erfordert neben Wissen über den Beruf vor allem Mut und Selbstvertrauen. Eine perfekte Übungsgelegenheit für die bevorstehenden realen Bewerbungsgespräche. Damit aus Wissen und Mut auch Erfolg wird, vermitteln wir den Teilnehmenden noch weitere wichtige Skills: Struktur, Pünktlichkeit, Verantwortung übernehmen, an sich selbst glauben. Und nicht so schnell aufgeben!

Warum trainieren Sie die Teilnehmenden in Camps – und nicht einfach in der Schule?

In unserer „Teach first“-Zeit wurde uns klar, wie wichtig es ist, Orte zu wechseln, sich neu definieren zu können und Ängste Schritt für Schritt mit genügend Zeit anzugehen. Die Jugendlichen haben so die Chance, eine komplett neue Einstellung zum Lernen zu entwickeln. In den Camps finden sie Ruhe und eine freundliche Stimmung. Hier wird niemand ausgelacht, wenn er mal einen Fehler macht, und ohne die obercoolen Freunde muss niemand in eine Rolle schlüpfen. Respekt und ein gutes Miteinander sind wichtige Werte, die wir den Jugendlichen hier entgegenbringen und zugleich von ihnen erwarten.

Natürlich ist die individuelle Lernförderung wichtig, aber wir wollen auch, dass sich unsere Schüler und Schülerinnen zu selbstbewussten und selbstbestimmten Menschen entwickeln, die ihre Stärken kennen und an Erfolge glauben. Für beides haben die Lehrkräfte in der Schule aufgrund des straffen Lehrplans meist weder Zeit noch Geduld. In den Camps stehen pro Gruppe zwei Lehrkräfte zur Verfügung, die maximal 15 Schüler und Schülerinnen betreuen. 

In kleinen Unterrichtsgruppen sitzen Schülerinnen und Schüler in einem Kurs der MUT Academy.
Kleine Gruppen sorgen für eine optimale Unterstützung der jungen Erwachsenen.

Mut machen – wie sieht das konkret aus?

Unsere „Reise“ mit den Jugendlichen beginnt am Ende der neunten Klasse. Im ersten Camp helfen wir den Schülern und Schülerinnen fünf Tage lang, sich in kleinen Gruppen auf die Prüfungen des Ersten Allgemeinbildenden Schulabschlusses (ESA) vorzubereiten – inklusive der bereits erwähnten MUT-Probe. Wir bieten den Jugendlichen dazu ein Sport- und Abendprogramm, damit sie sich besser kennenlernen und als Team zusammenwachsen. 

Haben Sie den Abschluss dann bestanden, folgt für die Schüler und Schülerinnen meist der schwierigste Teil: der Absprung ins Berufsleben. Mit zwei weiteren, intensiven Camps unterstützen wir die jungen Erwachsenen, ihren Weg zu finden. Im ersten Trainingscamp zum Thema Berufsorientierung geht es darum, herauszufinden, wo die eigenen Stärken und Interessen liegen und wo eventuell noch Hürden auf dem Weg dahin zu nehmen sind. Im zweiten Camp dreht sich dann alles um die Bewerbung selbst: Wo fange ich mit der Suche nach freien Ausbildungsplätzen an? Wie gestalte ich Bewerbungsunterlagen, die nicht übersehen werden? Und wie bereite ich mich auf ein Bewerbungsgespräch vor? Dazu gehört auch der Bewerbungsmarathon, bei dem die Schüler und Schülerinnen einen ganzen Tag lang mit einer Eins-zu-eins-Betreuung Bewerbungen für Praktika und Ausbildungsplätze schreiben. Neben den Camps bieten wir immer wieder einzelne Workshoptage und Einzelgespräche an und stehen den jungen Erwachsenen bei Fragen, Zweifeln und Ängsten zur Seite.

Ist auch diese Klippe umschifft und die Schüler und Schülerinnen haben einen gesicherten Ausbildungsplatz, bleiben wir mit ihnen bei Bedarf bis zum Ende der Probezeit am Ball. Wir wollen verhindern, dass sie frühzeitig abbrechen – wir machen ihnen weiter Mut, helfen bei Konflikten und Sorgen und sind für sie da. 

Mögen Sie uns noch ein Erlebnis schildern, das Sie besonders berührt hat? 

Da gab es so viele schöne Momente! Allein die positiven Rückmeldungen der Schüler und Schülerinnen während der Camps, wie viel ihnen das bringt und wie wohl und aufgehoben sie sich fühlen. Besonders erinnere ich mich an ein Mädchen, das auf gar keinen Fall die MUT-Probe, die Abschlusspräsentation vor unserer Jury, machen wollte. Als ich ihr schließlich nach langem Überzeugen anbot, sie dabei zu begleiten, hat sie sich getraut. Nach erfolgreichem Bestehen sagte sie dann strahlend zu mir: „Ich kann mehr, als ich dachte. Danke, dass Sie mich gezwungen haben.“

Wie kann man die MUT Academy unterstützen?

Ideell kann jeder die Academy ehrenamtlich als MUTivator oder MUTivatorin in den Camps, bei einzelnen Mut-Tagen oder bei den wöchentlichen Bewerbungsnachmittagen unterstützen. Ebenso ist eine finanzielle Hilfe in Form von Spenden immer willkommen. Bereits mit 60 Euro ermöglicht man einem oder einer Jugendlichen ein eintägiges, intensives Bewerbungstraining. Da die MUT Academy gerade neue, größere Räume bezogen hat, in denen auch Vor-Ort-Camps für eine noch höhere Anzahl von Teilnehmenden stattfinden können, ist jede Unterstützung sehr willkommen. 

Natalie Rappert vor einer grauen Leinwand im Porträt.
Die Arbeit in der MUT Academy ist für Gründerin Natalie Rappert eine echte Herzensangelegenheit.

Kontakt:

MUT Academy

Alter Teichweg 25

20081 Hamburg

Telefon: +49 176 36798317

E-Mail: info@mutacademy.de

 

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